Throwback Finale 2012/2013.. Wie war damals noch?.

Der letzte Gladiator

Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet und dabei war die Woche so gut für ihn gelaufen. Am 20. Januar 2013 hatte er mit seiner Mannschaft sensationell im Final-Hinkampf den KSV Köllerbach mit 22:14 Punkten niedergerungen und diese 8 Punkte Vorsprung im Rückkampf stellten ein beruhigendes Fettpolster dar.
Nur vier Tage später schien das Glück perfekt: Sein Sohn Joan kam auf die Welt und deshalb flog er 2 Tage vor dem Final-Rückkampf zu seiner Familie nach Petric (Bulgarien), um seine Lebensgefährtin und sein Kind in die Arme zu schließen. Als er am nächsten Tag wieder nach Frankfurt zurückflog, um das Finale zu bestreiten, hatte er mittlerweile seit vier Tagen nicht geschlafen und war mit seinen Gedanken nur bei seinem Neugeborenen.
Am Finalabend, den 26. Januar 2013 war er wie elektrisiert, denn er wollte unbedingt Teil der Mannschaft sein, die nach 36 langen Jahren erneut den Meistertitel nach Mainz holt. In der emotionsgeladenen Saarlandhalle erlebte er jedoch eine entfesselnd kämpfende Köllerbacher Mannschaft, die den Achtpunkte-Rückstand aufgeholt hatte. Mit dem 10. und somit letzten Kampf des Abends, war es den Saarländer sogar noch möglich, den Mainzern die sicher geglaubte Meisterschaft noch aus den Händen reißen. Ungläubig machte er sich bereit für seinen Auftritt. Er musste es richten. Wieder Mal. Wie so oft in der Saison. Er war es praktisch gewöhnt, als letzter Kämpfer auf die Matte zu gehen und die fehlenden Punkte für sein Team zu holen. Und in dieser Saison war ihm das bei 17 Kämpfen auch jedes Mal gelungen. Und er genoss diese Augenblicke. Die Aufmerksamkeit der Zuschauermenge, wenn diese von ihm die dringend benötigten Punkte erwarteten und er als „Letzter Gladiator“sein Publikum nicht enttäuschte. Der Applaus der Fans und die „Kiril, Kiril“-Rufe hallten noch lange nach Kampfende in seinen Ohren. An diesem Abend war es anders.
Die Köllerbacher führten mit 20:12 Punkten vor dem letzten Kampf und hatten den Rückstand damit ausgeglichen. Sein Gegner Andrij Shyyka, den er im Hinkampf noch souverän mit 3:1 besiegt hatte, schien topmotiviert und gewillt das Wunder von Saarland zu verwirklichen. Er aber war müde und erschöpft. Die Reisestrapazen und diese unerwartete Situation überforderten ihn. Doch er musste sich nun konzentrieren und in der ersten Runde gelang es ihm auch, denn mit einem guten Angriff ging er mit 0:1 in Führung. Sein Gegenüber, der mehrfache Deutsche Einzelmeister Andrij Shyyka, schenkte ihm wahrlich nichts und gewann die nächsten beiden Runden und führte mit 2:1 nach Punkten. Die mitgereisten Mainzer waren fassungslos, bei einigen flossen sogar Tränen. Sie waren nicht hier her gekommen um zu verlieren. Ihr bulgarischer Held war Druck gewöhnt, aber mit diesem Kampf erreichte seine mentale Belastung eine neue Dimension. Er war erschöpft und müde. Das Trainerteam der Mainzer und seine Teamkameraden redeten unaufhörlich auf ihn ein und gaben ihm Tipps, aber er schien das alles nicht mehr aufnehmen zu können.
Wie in Trance ging er in die vierte Runde. Aber es lief einfach nicht gut für ihn. Einen hoffnungsvollen Beinangriff musste der Kampfrichter unterbinden, weil Shyyka just in diesem Moment eine Blutverletzung anzeigte. Es blieben nur noch wenige Sekunden um den Ausgleich zum 2:2 zu schaffen. Als dem Mainzer Athlet schließlich mit einer beherzten Aktion, der so dringend benötigte Ausgleich gelang, glaubte jeder in der Saarländer Arena, dass Alfred Hitchcock Regie führte.
Es brach die letzte Runde an, und beide Ringer wussten, der Sieger wird sein Team zum Deutschen Mannschaftsmeister in der 1. Bundesliga machen. Die Spannung war zum Bersten und der Geräuschpegel in der Kampfarena potenzierte sich. Die Köllerbacher Fans hatten hoffnungsvoll Plakate mit der Aufschrift „Deutscher Mannschaftsmeister 2013“ angefertigt und trauten sich nun, diese öffentlich zu zeigen. Von den Mainzer Fans hörte man kaum noch was. Sie waren in Schockstarre.
In der fünften Runde ging der Köllerbacher schnell mit 1:0 Wertungspunkten in Führung und brachte den Mainzer mit einem weiteren Beinangriff in Bedrängnis. Terziev konterte diesen Angriff jedoch schnell mit einer Hebelwirkung und erhielt dafür 2 Wertungspunkte. Die Halle bebte. Keiner saß mehr in der restlos ausverkauften Saarlandhalle. Es waren nur noch wenige Augenblicke, die der Kampf noch dauern sollte, und Andrij Shyyka schien das Wunder klar zu machen. Er glich mit einem schnellen Beinangriff zum 2:2 aus und brachte den 88er in eine gefährliche Bodenlage. Es blieben nur noch 10 Sekunden zu kämpfen und Terziev konnte nicht mehr. Und es schien, als wollte er auch nicht mehr. Er war in einer brandgefährlichen Situation, denn der Köllerbacher Ringer hatte die große Chance, den Kampf für sich zu entscheiden. Der Mainzer wollte nur noch, dass es zu Ende ist. Er hatte keine Kraft mehr und senkte den Kopf auf den Boden. Dieser Augenblick schien auch seinem Trainer Baris Baglan nicht entgangen zu sein, der ihn lautstark anwies weiter zu ringen. Doch Kiril reagierte nicht. Er fühlte sich einfach kraftlos und schloss die Augen. Die Köllerbacher Ecke konnte ihr Glück nicht fassen. Terziev, geschlagen am Boden mit geschlossenen Augen.
Doch dieser skurrile Moment änderte alles! Mit geschlossenen Augen übernahm sein Ohr als Sinnesorgan die Kontrolle über seinen Körper. Er hörte die ASV-Fans nach ihm rufen: „Kiril, Kiril“. Erst ganz dumpf und dann immer lauter. Auch sein Trainerteam und die Kameraden stiegen mit ein und riefen unaufhörlich seinen Namen.
Und plötzlich öffnete er die Augen. Jetzt sah er auch die Fans, die von ihm, dem „Letzten Gladiator“,den Sieg erwarteten. Geistesgegenwärtig klammerte er sich an das Bein von Shyyka, der nicht mehr mit einem Comeback von Terziev gerechnet hatte. Aber auch er wollte unbedingt gewinnen und drückte mit aller Kraft auf den Oberkörper des Mainzers. Beiden Ringern konnte man die Anstrengung buchstäblich von den Augen ablesen aber keiner konnte mehr eine Aktion für sich entscheiden. Als der Kampfrichter den Kampf abpfiff, war für einen Moment nicht klar, wer der Sieger war. Die letzte Runde war unentschieden ausgegangen, aber Shyyka hatte die letzte Wertung erzielt. Nach den Regularien des Deutschen Ringerbunds gewann der Ringer bei Unentschieden, der die letzte Wertung erzielt hatte. Dennoch riss die Mainzer Ecke die Hände nach oben und Trainer Baris Baglan stürzte auf die Ringermatte. Der Jubel schien keine Grenze zu kennen.
Den Fans war zunächst nicht klar, warum sich die Mainzer freuten aber der Kampfrichter klärte auf. Durch die höhere Zweipunktwertung in der letzten Runde, hatte der Mainzer trotz der 2:2 -Endwertung den Kampf für sich entschieden. Der KSV Köllerbach hatte zwar den Kampfabend mit 22:15 gewonnen, jedoch im Gesamtvergleich, die 8 Punkte Rückstand vom Hinkampf nicht mehr aufholen können. Mainz hatte nach 36 Jahren wieder einen Deutschen Mannschaftsmeister in der Stadt. Pünktlich zur 125-Jahr Feier des ASV Mainz 88!
Kiril Terziev wurde am 01.09.1983 geboren und ist mehrfacher Bulgarischer Meister im Einzel. Bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 hat er eine Bronzemedaille errungen.

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